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voller Fallgruben. Ehe man sich versieht, ist man mit ihr
»verunfallt«; der Stil, teilweise schwer verletzt, wird von
der Feuerwalze überrollt und unter den Trümmern von
Kartenhäusern begraben. Welch eine Katastro-f-e!
Trügerischer Anschein des Scheinbaren
Morgens um sieben ist die Welt anscheinend noch in
Ordnung. Oder ist sie es nur scheinbar? Allem Anschein
nach ist der unscheinbare Unterschied zwischen
scheinbar und anscheinend nicht hinlänglich bekannt.
Dabei verbirgt sich hinter dem anscheinend Ähnlichen
nur scheinbar Gleiches.
Morgens um kurz nach sieben springt der
Radiowecker an, und eine notorisch gut gelaunte Stimme
quäkt:
»... lässt Dieter in gewohnter Manier die Hosen
runter, und nach anfänglichen Startschwierigkeiten
mausert sich sein zweites Buch jetzt scheinbar zu einem
richtigen Verkaufsschlager.« Der Schlag auf die
Schlummertaste kann gar nicht hart genug sein, wenn es
gilt, nervende Quasselstrippen auf Radiosendern zum
Schweigen zu bringen. Erst recht, wenn sie sich in
hilfsbedürftigem Deutsch über hilflose Literaturversuche
verbreiten. Leider währt die Ruhe nur wenige Minuten.
Und bei der nächsten Weck-Attacke tut er es tatsächlich
wieder:
»... zwei zu null, die Gastgeber hatten sich scheinbar
gut auf dieses Spiel vorbereitet.«
Der Bedeutungsunterschied zwischen »anscheinend«
und »scheinbar« ist offenbar selbst Radiosprechern nicht
immer geläufig. Dabei ist er alles andere als gering.
»Anscheinend« drückt die Vermutung aus, dass etwas so
ist, wie es zu sein scheint: Anscheinend ist der Kollege
krank, anscheinend hat keiner zugehört, anscheinend hat
der Chef mal wieder schlechte Laune. »Scheinbar«
hingegen sagt, dass etwas nur dem äußeren Eindruck
nach, nicht aber tatsächlich so ist: Scheinbar interessierte
er sich mehr für die Nachrichten (in Wahrheit wollte er
bloß seine Ruhe haben); scheinbar war der Riese kleiner
als der Zwerg (weil der Zwerg ganz weit vorne stand und
der Riese ganz weit hinten); scheinbar endlos zieht sich
die Wüste hin.
In den wenigsten Fällen, in denen scheinbar
gebraucht wird, ist scheinbar auch wirklich gemeint.
Sätze wie »Das ist ihm scheinbar egal« oder »Scheinbar
weiß es keiner« sind zwar häufig zu hören, doch leider
meistens falsch. Richtig muss es heißen: »Das ist ihm
anscheinend egal« und »Anscheinend weiß es keiner«.
Andernfalls würde es bedeuten, die Gleichgültigkeit und
die Unwissenheit wären nur vorgetäuscht.
In besonders romantischen Momenten steht die Zeit
scheinbar still. Hier ist scheinbar richtig, denn es handelt
sich nur um einen » gefühlten« Zeitstillstand und keinen
echten. Doch wo immer sich jemand scheinbar geirrt hat,
da hat er sich höchstwahrscheinlich bloß anscheinend
geirrt. Zum Beispiel Cäsar; der hatte sich anscheinend in
Brutus getäuscht, sonst hätte ihn dessen Beteiligung am
Komplott nicht derart überrascht. Dass er kein
Misstrauen gegen Brutus hegte, lag daran, dass dieser
ihm scheinbar wohlgesinnt war. Pech für Cäsar, dass der
Schein trog.
Ein noch berühmteres Beispiel liefert die griechische
Sagenwelt: Im Kampf um Troja waren die Belagerer
scheinbar zum Rückzug bereit. Ihr hölzernes Pferd sollte
die Trojaner von ihrem Friedenswillen überzeugen. Über
die Erkenntnis, dass zwischen Anschein und Wirklichkeit
oft brutale Lücken klaffen, versank Troja in Schutt und
Asche.
Der Duden weist darauf hin, dass die Unterscheidung
zwischen scheinbar und anscheinend »relativ jung« ist:
Erst im 18. Jahrhundert wurden die beiden Wörter
»gegeneinander abgegrenzt und differenziert«. Da sich
diese Differenzierung auch im 21. Jahrhundert noch nicht
vollständig herum-
gesprochen hat, kann man sich ungefähr ausrechnen,
was das für andere Differenzierungen bedeutet, die
bedeutend jünger sind: Die Rechtschreibreform
beispielsweise wird sich demnach auch im 23.
Jahrhundert noch nicht endgültig durchgesetzt haben.
Die Hartnäckigkeit, mit der sich scheinbar am
falschen Fleck behauptet, ist möglicherweise auch mit
der gestiegenen Beliebtheit der Endsilbe -bar begründbar.
Außerdem ist scheinbar anscheinend praktischer, zumal
um eine Silbe kürzer. Und das Wichtige, der »Schein«,
kommt gleich als Erstes und nicht erst in der Mitte. Der
Gebrauch des Wortes anscheinend verlangt dem
Benutzer einen winzigen Moment des Nachdenkens ab,
scheinbar hingegen ist was für Schnellsprecher, die sich
beim Reden nur ungern durch Nachdenken aufhalten
lassen.
Dazu gehört anscheinend auch der scheinbar ständig
gut gelaunte Radiosprecher vom Sieben-Uhr-Weck-und-
Schreck-Kommando. Denn der plappert unbeirrt weiter:
»Von seiner letzten Platte verkaufte er gerade mal zwei
Millionen Exemplare. Scheinbar will ihn keiner mehr
hören.« Was morgens um sieben wirklich keiner hören
will, ist dummes Geschwätz. Das ist weder scheinbar so
noch anscheinend; das steht völlig außer Zweifel.
Höchste Zeit, sich einen anderen Sender zu suchen.
Sinnverwandte Begriffe
scheinbar:
nur zum Schein, angeblich, vorgeblich, nicht in
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